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Alt 27.08.2005, 14:21
Tschabo
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Interview mit Lemmy

Artikel aus


In der letzten Ausgabe der "Welt am Sonntag" stand ein Interview mit Lemmy von Motörhead!

Ein Philosoph und Gentleman
Er säuft und lärmt seit 30 Jahren. Trotzdem ist Ian "Lemmy" Kilmister, Gründer, Sänger und Bassist der Heavy-Metal-Band "Motörhead", ein Mann mit Manieren. Ein Gespräch über Schach, Kant und die richtige Art zu leben.




Eigentlich ein Wunder, daß er noch lebt. Ian "Lemmy" Kilmister gründete im Sommer 1975 die Heavy-Metal-Band Motörhead. Sie war schneller, dreckiger und lauter als alles, was es zuvor gegeben hatte. Und kaum einer lebte so exzessiv wie Lemmy und seine Musiker. Man kann das als Raubbau am eigenen Leib bezeichnen. Aber Lemmy, 59, Cowboymontur, lange Haare, Backenbart, Warzen auf der Wange, Lemmy nennt es "aufrichtig".

Er empfängt in einer Frankfurter Hotelsuite voller Zigarettenqualm. Auf dem Tisch neben dem Sofa stehen eine halbleere Flasche Jack Daniel's, eine Familienflasche Coca-Cola und ein riesiger Eimer mit Eis. Ein Rocker. Aber er fühlt sich als Gentleman.

Welt am Sonntag: Mr. Kilmister ...,

Lemmy Kilmister: ... Lemmy, bitte.

Sie sind 59 Jahre alt und haben vor einem Monat nach einem Konzert in Frankreich einen schweren Kreislaufzusammenbruch erlitten.

Lemmy: Dehydriert! Ich bin dehydriert, nicht zusammengebrochen. Stellen Sie sich vor: Im Club hatten wir durchgängig 45 Grad Celsius. Keine Ventilatoren auf der Bühne, keine Lüftung. Da hat einer keinen Respekt vor den Fans gehabt. Aber die Show haben wir natürlich trotzdem durchgespielt.

Sie mußten anschließend zehn Tage lang in der Berliner Charité behandelt werden.

Lemmy: Aber mir geht es wieder gut. Sehen Sie, ich trinke wieder, das ist ein gutes Zeichen. Ein Mann muß trinken, sonst ist er mir suspekt.

Haben Sie keine Angst vor dem Tod?

Lemmy: Nein. Der gehört dazu. Und je älter wir werden, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, daß er eintritt. Das ist alles Empirie. Ich bin nicht mehr 21 Jahre jung. Und ehrlich gesagt, bin ich lieber 61 und weise als 21 und hohl. Für wen schreiben Sie eigentlich?

Für den Stil-Teil oder die Kultur der ...

Lemmy: ... Kultur? Wenn ich das Wort "Kultur" höre, entsichere ich meine Browning!

Stammt der Satz von Ihnen?

Lemmy: Nein, der wird Hermann Göring zugeschrieben. Berühmtes Zitat. Aber keine Sorge: Ich bin nicht Göring.

Sondern?

Lemmy: Lemmy, Bassist und Sänger von Motörhead. Wenn Sie so wollen: Ich halte mich für einen Gentleman. Auf alle Fälle fühle ich mich wie einer, denn es gibt kaum noch welche von meinem Schlag. Gentleman zu sein ist für mich eine Stilfrage, so wie das Leben eine Stilfrage ist. Schauen Sie sich doch um: Heutzutage will jeder recht haben, keiner hält dem anderen mehr die Tür auf, und Jugendliche rempeln Erwachsene an. Möchten Sie einen Drink?

War früher alles besser? In Ihrer Autobiographie "White Line Fever" verklären Sie die sechziger Jahre zu einem Jahrzehnt, das unserer Zeit viel voraushatte.

Lemmy: Man konnte in den Sechzigern auch wie ein Spießer leben. Es hängt immer von den eigenen Entscheidungen ab, ob man unter die Räder kommt oder ob man seinen Weg geht. Schon Kant sagte: Wir sind verantwortlich für uns selbst. In England mögen wir Kant, allein schon wegen seines Nachnamens.*

Ihre Lebensphilosophie?

Lemmy: Im Leben eines Mannes geht es nur darum, sich nicht zur Hure zu machen. Niemals zu kapitulieren. Wenn du aufgibst, hast du nur das Nichts. Kapitulation ist eine schlechte Option.

Ist es ein Zufall, daß Sie einen militärischen Begriff verwenden?

Lemmy: Ich sage nur: Ein Mann darf niemals seine Überzeugungen, sein Herz verraten. Das Herz ist das einzige, was ein Mann hat. Redet so etwa ein Militär?

So redet jemand, der eine bestimmte Spielart der Männlichkeit zum Stil erhoben hat: die des frauenvernaschenden, whiskeytrinkenden Heavy-Metal-Sängers.

Lemmy: Ich bin der festen Überzeugung, daß nur beides zusammen geht. Wollen Sie Rockstars sehen, die Backstage heimlich Perrier-Wasser trinken? Ich nicht. Es ist einfach der falsche Lebensstil.

Von Ihnen stammt der Satz: "Einen Kater vermeidest du am besten, indem du nie aufhörst zu trinken."

Lemmy: Ein wahrer Satz.

Ein Rocker muß seine eigene Selbstzerstörung leben?

Lemmy: Nicht nur ein Rocker. Die alten Jazzer waren die Vorhut des Rock 'n' Roll. Sie waren die Störenfriede, die Bad Boys, sie haben Drogen genommen und ihren Männerstolz mit schicken Anzügen zur Schau getragen - selbst wenn sie bettelarm waren. Und sie waren lebender Protest gegen die Rassentrennung. Der einzige Grund, wofür man verdient, geliebt zu werden, ist Aufrichtigkeit. Anders gesagt: Man muß nicht der Befehlshaber eines Regiments sein, um ein Held zu werden.

Haben Sie persönliche Helden?

Lemmy: Der Mann, der nachts auf der Straße einer Frau hilft, wenn sie angepöbelt wird. Wenn Sie schon so fragen: Albert Schweitzer. Er ging in den Dschungel, um selbstlos zu helfen. Schweitzer war ein Mann wie ein Fels.

Wenn Albert Schweitzer Ihr Held ist - warum sammeln Sie dann Nazi-Memorabilia?

Lemmy: Das ist für mich kein Widerspruch. Die Männer, die das Dritte Reich aufgebaut und regiert haben, waren schließlich keine Helden. Ich gebe aber zu, daß es mich nachhaltig fasziniert, wie eine geistesgestörte Bande nicht nur Deutschland, sondern fast sogar Europa übernehmen konnte - und zwar in Phantasieuniformen.

Was fasziniert Sie so an der Selbstinszenierung der Nazis?

Lemmy: Ihre Ikonographie war genial. Die Geschichte beweist: Die schlimmsten Menschen waren oft die besten Designer. Nehmen Sie Leni Riefenstahl: Sie choreographierte Nürnberg. Sie erfand die tanzenden Uniformen, den Menschen als Ornament. Früher fotografierte sie Reichsparteitage und die Olympiade in Berlin, heute bedienen sich Sportartikelhersteller ihrer Fotoästhetik. Ich sehe immer Hitler, wenn ich Werbung für Sneakers sehe.

Warum tragen Sie heute nicht das Eiserne Kreuz aus dem Ersten Weltkrieg, das sonst ihr bevorzugter Schmuck ist?

Lemmy: Ich habe schon viele Ketten getragen, aber nur das Eiserne Kreuz schmiegt sich an die Haut an, hat das perfekte Design. Schinkel, der berühmte deutsche Architekt, hat es gestaltet, es ist ganz leicht. Wenn Sie Leute provozieren wollen, dann ist das Kreuz dafür bestens geeignet. Ich halte mir Leute gern auch auf Distanz. Das Eiserne Kreuz hilft mir dabei.

Im Namen des Kreuzes wurden Kriegsverbrechen begangen.

Lemmy: Deshalb würde ich nie ein Hakenkreuz tragen. Ich differenziere. Mir ist doch total bewußt, daß überall auf der Welt Überlebende der Konzentrationslager und Angehörige von Getöteten leben. Wissen Sie, was mich am meisten wundert? Die neue Generation hat ja überhaupt gar keine Ahnung mehr. Die sehen mein Eisernes Kreuz und fragen mich: "Warum trägst du ein Hakenkreuz um den Hals?"

In der Mode geht es immer um Details. Stimmen die nicht, stimmt auch der Gesamteindruck nicht. Ist es das, was Sie sagen wollen?

Lemmy: Ja. Sie haben zwei identische Kleidungsstücke. Ein winziger Unterschied macht das eine zum Kult und das andere zum Ladenhüter.

Sie selbst tragen gerade ein schwarzes Cowboyhemd mit aufgestickten roten Rosen, schwarze Jeans, schwarze Cowboystiefel.

Lemmy: Neben der Nazi-Ästhetik hat es mir die der Cowboys am meisten angetan. Ich liebe Stiefel. Sie sind cool. Früher habe ich weiße Stiefel getragen. Heute lasse ich mir als Waliser meine amerikanischen Cowboy-Boots von einem französischen Schuhmacher in West Hollywood nähen.

Wie lassen Sie sich als Künstler inspirieren, etwa, wenn Sie auf Ihrem Album "Inferno" das Lied "Fight" singen: "Fighting in the west / Fighting in the east / Fighting like a beast / You must stand and fight"?

Lemmy: Sex, Kriege, Mord und Ungerechtigkeit. Davon wird es immer genügend auf der Welt geben. Ein Füllhorn der Inspiration! Ich lese jeden Tag. Regelmäßig. Geschichtsbücher, die Bibel, Stephen King, Michael Moorcock.

Die Bibel?

Lemmy: Nicht, daß ich sie täglich mit mir herumtragen würde. Die Bibel ist ein trickreiches Buch, sie entbehrt jeder Konkretion. Jeder Fanatiker könnte ihre dehnbaren Gleichnisse zur Begründung seiner Taten mißbrauchen.

In der Öffentlichkeit pflegen Sie das Image des Kindes im Manne: Sie spielen am einarmigen Banditen, Sie saufen ...

Lemmy: Ich habe es immer noch geschafft, pünktlich auf der Bühne zu stehen.

Sie sind bekennender Fleischesser.

Lemmy: Der Mensch ist ja auch nicht erschaffen worden, um Gemüse zu essen. Wozu haben wir sonst Eckzähne? Hinzu kommt, daß unser Verdauungssystem nicht dazu konzipiert wurde, nur Grünzeug zu essen. Vegetarier furzen den ganzen Tag lang. Hitler war Vegetarier. Noch Fragen?

Warum behauptet der Rest der Welt, gesund zu leben sei besser?

Lemmy: Das frage ich mich auch. Warum sollte ich joggen? Warum sollte ich in ein Sportzentrum gehen und Gewichte stemmen? Warum sollte ich mit dem Trinken aufhören? Sind wir dafür geboren worden? Das Leben ist zu kurz für solche Scherze.

Da ist es fast verwunderlich, daß Sie leidenschaftlich Schach spielen.

Lemmy: Finden Sie? Ich würde gern noch mehr spielen, doch finde ich in Los Angeles kaum Partner. Denen ist leider mein Humor viel zu schwarz.

Ist das Schachspiel der Sport des Gentlemans?

Lemmy: Definitiv. Es ist komplex und logisch, es reicht nicht aus, nur die Regeln zu kennen. Schach bedeutet Auseinandersetzung. Es heißt, sich nach gleichen Regeln zu duellieren. Schach hat nur einen Nachteil: Es eignet sich nicht als Familienspiel. Wenn man erst einmal Kinder hat, ist man, wenn man nicht höllisch aufpaßt, verdammt dazu, dämliche Kartenspiele zu spielen. Ich rate Ihnen daher: bringen Sie Ihren Kindern so früh wie möglich das Schachspiel bei.

Das Gespräch führte Max Dax

* Anm. d. Red.: "Cunt" (ausgesprochen: "Kant") ist im Englischen der - äußerst vulgäre - Ausdruck für das weibliche Geschlechtsorgan.

Artikel erschienen am 21. August 2005