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Alt 03.10.2006, 16:02
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’68 Comeback Special“, „Elvis, Aloha from Hawaii“

Zwischen Hollywood und Mississippi

TV-Shows des „King“: „’68 Comeback Special“, „Elvis, Aloha from Hawaii“

Um „God’s Own Country“ zu „verstehen“, muss man den großen Stimmen Amerikas lauschen: dem Crooner Frank Sinatra („The Voice“), der Country-Ikone Johnny Cash („The Man in Black“), dem „King“ Elvis Presley und dem bellenden Poeten Bob Dylan, dem letzten Überlebenden dieses Quartetts, dem es jüngst sogar gelungen ist, mit seinem unglaublich altmodischen Album „Modern Times“ nach genau dreißig Jahren noch einmal die Spitzenposition der US-Charts zu erobern. Was alle miteinander verbindet? Sie alle heulten gerne den Mond an, den die Amerikaner 1969 ja auch noch erobern mussten.
Wenige Monate vorher, am 3. Dezember 1968, fand bei NBC ein denkwürdiges TV-Event statt: das „’68 Comeback Special“ des „King“, das schlicht den Titel „Elvis“ trug. Nebenbei bemerkt, auch bei dieser Gelegenheit sang Presley wieder ein Mondlied: „When My Blue Moon Turns To Gold Again“. Nachdem Sony-BMG vor einiger Zeit schon eine Luxusversion dieses legendären Konzerts veröffentlichte, gibt es nun auch eine entschlackte Fassung der Show auf DVD, zusammen mit dem TV-Special „Elvis, Aloha From Hawaii“ von 1973.
Als Elvis, the Pelvis, im Sommer 1968 in den NBC-Studios in Burbank diese Weihnachtsshow aufnahm, war es höchste Zeit für ein Comeback gewesen. Denn nach seiner Entlassung aus der US-Armee Ende der Fifties war der Rock’n’Roll-King zahm geworden. In den Sixties erschienen fast nur noch Soundtrackalben zu seinen unzähligen Filmen, die im Übrigen nicht alle so schlecht waren, wie immer wieder nachgeplappert wird. Gezähmt hatte ihn natürlich sein Manager Colonel Tom Parker, der sich dieses NBC-Spezial ganz anders vorstellte: Der King sollte darin zwanzig Weihnachtslieder singen. Wie in den frühen „Sun“-Records-Aufnahmen brachte Elvis für den Pop-Mythomanen Greil Marcus in einer Handvoll Songs in dieser Show eine „brennende, verzweifelte Art von Leben ..., die sich sonst in seiner Musik nicht wiederfinden lässt.“ Eine denkwürdige Session, ein Neubeginn, ein magischer Moment. „Da also war Elvis“, schreibt Marcus, „da stand er in einem Auditorium, vor sich Fernsehkameras und ein Live-Publikum, da stand er zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt, nachdem er sich endlich hinter einer Wand von Schranzen und Speichelleckern hervorgetraut hatte, die er bezahlte, damit sie ihn verbargen. Und alle schauten zu. Er saß auf der Bühne in schwarzem Leder, umgeben von Freunden und einer ruppigen kleinen Combo, die Menge raunte, er sang und redete und machte Witzchen, und all der Unmut, den er über die Jahre in sich hineingefressen hatte, begann, aus ihm herauszubrechen. Er hatte immer ja gesagt, aber diesmal sagte er nein – nicht ohne Humor, aber beinahe mit einem sarkastischen Anflug von Schuld, als hätte er sein Talent und sich selbst verraten. Been a long time, baby.“
Als Leitmotiv ziehen sich durch die Show zwei Lieder, die für die Vergangenheit und die Zukunft stehen: Leiber & Stollers Hollywood-Rock-Nummer „Trouble“ und Jerry Reeds Nashville-Klassiker „Guitar Man“. Zwischen Country & Soul sollten dann auch die Songs seiner kommenden Memphis-Sessions pendeln, dem letzten musikalischen Höhepunkt seiner Karriere. Von nun an ging’s bergab. Den Anfang vom Ende kann man entdecken in der TV-Show, die am 14. Januar 1973 über Satellit angeblich in die Wohnzimmer eines Drittels der Weltbevölkerung übertragen wurde: „Elvis, Aloha from Hawaii“. Der King ist müde geworden. Vergleicht man die Interpretationen der Songs, die er in beiden TV-Shows gesungen hat, „Blue Suede Shoes“ oder „Hound Dog“, miteinander, geht dieser Vergleich zu Gunsten des Comeback-Specials aus. Und doch schimmert immer wieder etwas vom alten Performance-Genie durch, wie in „Dixie“.
„I wish I was in Dixie“, sang Bob Dy-lan vor ein paar Jahren in der bizarren Untergangsphantasie „Masked And Anonymous“, aber es war Elvis, der 1973 in Hawaii diese Südstaatenhymne einem weltweiten Fernsehpublikum vorsang. „Dixie“ war Teil der „American Trilogy“, zu der auch „The Battle Hymn of the Republic“ und das Sklavenlied „All My Trials“ gehört, die zum merkwürdigen Höhepunkt der Show wurde. Greil Marcus brachte es auf den Punkt: „Wenn Elvis das singt, gibt er zu verstehen, dass seine Bühnenpersönlichkeit und die Kultur, die er aus Blues, Las Vegas, Gospel, Hollywood, Gefühlsmatsch, Mississippi und Rock ’n’ Roll gemacht hat, jedes Amerika in sich bergen kann, das man eventuell heraufbeschwören möchte. Es ist ziemlich lincolnhaft; Elvis begreift, dass der Bürgerkrieg nach wie vor noch nicht vorbei ist, also spielt er die Union.“
Viktor Rotthaler

quelle: neue musikzeitung
http://www.nmz.de/nmz/2006/10/rez-dvd-elvis.shtml