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Alt 14.01.2018, 11:26
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June ist mit ihrer Freundin Pat im Oktober 56 noch immer in Memphis. Nick Adams war Dauergast bei den Presleys.
Zur Erinnerung: "Lovie" ist Gladys Presley




Elvis hatte mir und Pat sein Schlafzimmer überlassen, also benutzten wir auch das große Badezimmer. Unsere persönlichen Dinge standen ordentlich aufgereiht auf der langen Ablage. Eines Morgens, als ich mir gerade die Zähne putzte, entdeckte ich ein Glas Wasser, in dem irgendetwas lag.
Als ich es näher betrachtete, dachte ich, es seien falsche Zähne. Später erfuhr ich, dass diese Reihe Zähne Nick gehörte. Das war also sein Hollywood-Lächeln. Nick demonstrierte uns den Effekt, indem er die Verblendungen auf seine natürlichen Zähne setzte und grinste wie die Cheshire Cat:









Die Zähne waren eindeutig eine Verbesserung von Nicks nicht allzu strahlendem Lächeln. Elvis sagte dann, er habe auch ein paar Hollywood-Zähne. Ich glaubte ihm nicht, bis er zwei kleine Verblendungen herausnahm. Er benutzte sie wann immer er vor einer Kamera stand. Er wollte den Unterschied zeigen indem er mit und ohne die Zahnkappen lächelte. Ich sah kaum eine Differenz:
Elvis hatte auch ohne die Dinger ein wunderschönes Lächeln. Seine beiden Zähne neben den Schneidezähnen waren den Hollywood-Experten angeblich ein wenig zu klein. Die Verblendungen glichen das aus.
Wie auch immer, er hatte ein großes Problem mit den künstlichen Zähnen - er konnte damit nicht essen. Und Elvis kaute ständig auf irgendetwas herum. Er hatte schon mehrere Sätze Zähne verloren oder zerstört. Er nahm sie gewöhnlich heraus, steckte sie in die Brusttasche seines Hemdes und vergaß sie. Jedes Mal wenn Alberta die Wäsche machte, waren sie dann entweder zerbrochen oder durch den Abfluss gegangen. Durchschnittlich verlor er ein Paar pro Tag.

Eines Nachmittags zogen wir Boxhandschuhe an und nutzten den leeren Pool als Boxring. Das war sein Vorschlag gewesen, weil ich ihm zuvor davon gelaufen war, und im Pool kam ich nicht weit. Gnädigerweise benutzte er nur die linke Hand. Ich gab ihm eine kräftige Linke auf den Mund und er rief sofort nach einer Pause. Er nahm seine Hollywood-Zähne heraus und legte sie auf die obere Sprosse der Pool-Leiter. Pat kam um sich den Boxkampf anzusehen und dachte, dass sie wunderbar auf der Leiter sitzen könnte. Sie trat auf eine der Verblendungen wie auf eine Eierschale, während sie die andere versehentlich in den Pool kickte. Diese überlebte den tiefen Sturz ebenfalls nicht. Der Tag war noch nicht zu Ende, und er hatte bereits vier Zähne verloren, und somit den Durchschnitt übertroffen.
Mit einem Bruder aufgewachsen, der ein Golden Gloves Boxchampion war, war es für mich nicht das erste Mal, dass ich einen Faustkampf absolvierte. Ich war ziemlich geübt, defensiv wie offensiv. Mein Bruder hatte einen Boxsack - einen kleinen Boxsack, aufgespannt zwischen 2 Seilen bei uns im Garten - dieses Ding konnte ich zum Singen bringen. Elvis musste dann doch beide Hände benutzen, um meine kräftige Linke abzuwehren. Er konterte mit seiner Rechten, die eigentlich hinter seinem Rücken bleiben sollte, und schlug mir einige Male ins Gesicht. Ich lief ihm dann einfach davon - in den flachen Teil des Pools. Lovie rettete den Tag, indem sie uns aufforderte, herein zu kommen und uns umzuziehen.

Wir alle waren bei Freunden von Mr. und Mrs. Presley zum Abendessen eingeladen. Lovie entschied, dass wir Sonntagskleidung tragen sollten. Elvis sah wirklich wunderschön aus in seinem dunkelgrauen Anzug.
"Ihr zwei müsst wohl das schönste Paar der ganzen Welt sein", sagte Lovie als sie mich und Elvis betrachtete.
"Da ist was dran!" sagte der sonst so wortkarge Mr. Presley. Pat machte einen ähnlichen Kommentar, während Nick, der zur Abwechslung einmal nichts sagte, sein Hollywood-Lächeln zeigte.
Ich trug ein königsblaues, selbst entworfenes Kleid, welches viel Ähnlichkeit mit dem Kleid hatte, welches Nick für Elvis als Souvenir mitgebracht hatte. Mein Kleid hatte dreiviertel-Ärmel und der Schlitz war nicht ganz so hoch. Ansonsten war es gleich. Bisher hatte Nick mich nur in bequemer Freizeitkleidung gesehen. Nicht dass ich scharf auf seine Meinung war, aber irgendwie wollte ich ihm beweisen, dass auch mir ein solches Kleid wunderbar stand. Selbstsicher in meinem Auftreten, lächelte ich ihn an und zwinkerte ihm rachsüchtig zu.
Ich kann mich an die Namen der Leute, die uns eingeladen hatten, nicht erinnern. Aber ich erinnere mich daran, dass sie in meinem Kopf "Mr. und Mrs. Nutriment" hießen. Sie waren mit ihrem Geschäft an einer Entwicklung beteiligt, die ein neues Produkt, nämlich "Nutriment", auf den Markt brachte. Hierbei handelte es sich um das heutige "Slim-Fast".

Das Hauptthema bei Tisch war Nutriment. Mrs. Presley, die wusste, wie albern wir beizeiten sein konnten, hatte uns zuvor das Versprechen abgenommen, dass wir uns einwandfrei benehmen würden. Wir waren pünktlich erschienen und saßen nun an einem langen Esstisch mit einer wunderschönen spitzenverzierten Tischdecke. "Pass auf, dass dein Essen auf dem Teller bleibt", ermahnte ich mich selbst. Frische Blumen und silberne Kerzenleuchter komplettierten den elegant gedeckten Tisch. Ich aß zum ersten Mal mit einem Silberbesteck von feinem chinesischen Porzellan, und trank aus Kristallgläsern. Mrs. Presley hatte auch schönes Geschirr, aber solche feinen Dinge besaß sie zu der Zeit noch nicht. Ein schöner Kristall-Lüster hing direkt über dem Tisch, und eine Reihe Desserts waren auf einem Buffet mit Kerzenleuchtern aufgebaut. Es war sehr edel.
Die Gespräche fanden hauptsächlich zwischen den Presleys und den Nutriments statt, und meistens ging es ums Geschäft. Elvis sagte hin und wieder "Ja, Ma'am" oder "Nein, Sir" und "Dankeschön". Ich lächelte einfach nur die ganze Zeit.
Bevor er sich über ein Früchtedessert hermachte, nahm Elvis unauffällig seine beiden Zahnkappen heraus und gab sie mir. "Nimm du sie, Baby. Ich kann mir nicht erlauben, ein weiteres Paar zu verlieren", flüsterte er. Ich hatte keine Tasche an der Kleidung, und der Diener hatte mir meinen Mantel und meine Handtasche abgenommen - also legte ich die Zahnkappen in meinen Schoß unter die Stoffserviette.
Nach dem Hauptgang forderte Mrs. Nutriment uns auf, zwischen den aufgereihten Desserts zu wählen. Ich erinnerte mich an die Zähne, die Elvis mir zur Aufbewahrung gegeben hatte, und versteckte sie in meiner Hand bevor ich meinen Platz verließ. Elvis wollte ein Stück Schokoladenkuchen und bat mich, ihm eins abzuschneiden. Ich brauchte beide Hände um den Kuchen zu schneiden und auf den Teller zu legen, also bewahrte ich die Zähne in meinen Mund auf. Ich brachte unseren Kuchen zurück zum Tisch und fragte mich, was ich mit den beiden Zahnkappen tun sollte. Als ich sicher war, dass mich niemand beobachtete, setzte ich die Zähne links und rechts in meinen Mund - und sah aus wie ein Vampir. Pat und Nick, die mir und Elvis gegenüber saßen, sahen zufällig beide in meine Richtung. Aber Elvis war so sehr mit seinem Kuchen beschäftigt, dass ich ihn anstoßen musste, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er warf mir einen Blick zu, schluckte und schrie vor Lachen.
Die Presleys und die Nutriments standen am Buffet und hatten keine Ahnung, warum wir lachten. Wir wussten, dass wir uns gut benehmen mussten - aber das machte die Sache noch schlimmer. Ich entschuldigte mich und ging ins Nebenzimmer. Pat, Nick und Elvis kamen direkt hinterher. Je mehr wir versuchten uns zu beherrschen, umso mehr mussten wir lachen. Wir kehrten mit dem Vorsatz an den Esstisch zurück, uns nicht gegenseitig anzuschauen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren alle so etepetete gewesen, und das Dinner so steif wie ein gestärkter Kragen. Meine alberne Showeinlage erwies sich als Eisbrecher - nachdem Elvis darauf bestanden hatte, dass ich es noch einmal tun sollte.
"Es wurde wohl Zeit, dass ihr Kinder etwas Spaß habt", sagte Mr. Nutriment lachend.

Nach Mitternacht gingen wir sechs zu einer privaten Aufführung eines Zusammenschnitts von "Love Me Tender". Der Film dauerte nur dreißig Minuten, aber es war das erste Mal, dass Elvis sich selbst auf einer großen Leinwand sah. Er war nicht allzu begeistert von seinem Aussehen, und bemängelte Dinge, die sonst niemand sah. Lovie und ich versicherten ihm, dass der Film gut war, und dass auch er gut war, aber er wollte nicht einfach nur gut sein, er wollte großartig sein.
Wenn ich sie dazu bekäme, einige dieser dämlichen Songs herauszuschneiden, fände ich den Film viel besser", verkündete er.
Auf dem Weg zurück zum Auto, ging Elvis zwischen mir und seiner Mutter und legte uns seine Arme um die Schultern.
"Ich habe meine beiden Lieblingsmädchen - was will ich mehr? Alles wird gut, richtig, Mama? Richtig, June?" sagte er zuversichtlich. Mr. Presley, Pat und Nick gingen direkt hinter uns.
"Alles wird gut werden", stimmten Mr. Presley und Pat zu. Nick sagte es anders:
"Sei nicht so verdammt hart zu dir selbst, Mann, und gib der Sache etwas Zeit. Ich würde alles dafür tun, eine Hauptrolle zu bekommen. Ich habe mir den Arsch aufgerissen, habe versucht, es ihnen zu beweisen, und habe nur kleine Bruchstücke bekommen, die auf dem Fußboden des Schneideraums landeten. Erst danach kannst du sagen, ob du deine Szenen magst oder nicht. Du hast dich als Schauspieler bewährt, Mann. Mach dir darüber keine Sorgen!"
Ich entdeckte einen Hauch Neid in Nicks Stimme, aber Elvis hing an seinenLippen und fasste es als Kompliment auf. Was auch immer es war, Nicks Worte sorgten dafür, dass Elvis sich besser fühlte. Ich hatte das Bedürfnis, Nick ins Gesicht zu sagen, dass er - verdammt noch mal - seinen Mund halten solle. Aber da ich versprochen hatte, nett zu dem einsamen kleinen Kerl - "er braucht Freunde" - zu sein, presste ich meine Kiefer aufeinander und ging weiter.
Am nächsten Morgen rief ich bei der Airline an um die Rückflüge für mich und Pat klar zu machen, nämlich für den gleichen Tag an dem Elvis für die Ed Sullivan Show nach New York aufbrechen würde. Elvis rief danach bei der Airline an, um meine Reservierung wieder rückgängig zu machen. Er wollte, dass ich mit nach New York ging.
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