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Alt 09.04.2006, 15:15
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michael grasberger michael grasberger ist offline
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DIESES GESICHT

von zeit zu zeit schwelgen wir alle gern in unseren ganz speziellen erinnerungen. was dann in meinem gedächtnis erscheint, ist dieses gesicht. das gesicht, das bald das bekannteste der ganzen welt sein sollte. die tiefliegenden augen, die die mädchen zum kreischen und heulen brachten; die vollen, schmollenden lippen, die sie in ohnmacht fallen ließen. ich werde nie vergessen, wie ich dieses gesicht zum ersten mal sah: das makellose gesicht von elvis presley.
es war im juni 1955. ich war gerade von der arbeit nach hause gekommen, als das telephon läutete. glenda mendaffy, eine enge freundin, fragte mich, ob ich mit ihr gemeinsam zu einem sänger namens elvis presley gehen wollte.
"ich hab ihn letzte nacht in der slavonian lodge gesehen, und june, das ist der wunderbarste mann, der mir in meinem ganzen leben untergekommen ist. du mußt mitkommen, june. okay?"
"mal langsam, glenda! wann gehen wir wohin, und wie sollen wir dorthin kommen?"
"heute nacht im airman's club. mein bruder bringt uns hin und holt uns später wieder ab."
"ich bin müde, glenda, ich möchte eigentlich nur ein heißes bad nehmen und mich ein wenig entspannen, bevor norbie kommt." norbie ronsonet, einsdreiundneunzig, war der wunderbarste mann, der mir in meinem leben untergekommen war. seit sechs monaten gingen wir zusammen.
"die show fängt nicht vor 7:30 an, june, da hast du genug zeit für dein entspannungsbad. ruf norbie an und sag ihm, daß du mit mir nach kesler field fahren mußt und dich wieder meldest, wenn du um halb zehn zurück bist. oder noch besser, ich ruf ihn an, und du machst dich fertig. wir holen dich um punkt sieben ab!"
zögernd stimmte ich zu und stieg in die wanne. nachher stand ich vor der entscheidung, was anziehen. frauen in hosen waren in der luftwaffenbasis nicht erlaubt. ich hatte dieses neue weiße kleid, das meiner figur schmeichelte, und das ich zur abschlußfeier getragen hatte. das war perfekt. dazu paßten meine neuen weißen, hochhackigen sandalen. um 6:45 war ich fertig angezogen und startbereit.
weil mir noch ein paar minuten blieben, setzte ich mich auf die couch und stellte das radio an. der dj meines lieblingssenders kündigte einen heißen neuen sänger an – elvis presley. ich richtete mich gerade auf, als könne ich so mehr hören, und spitzte die ohren. der song, "blue moon of kentucky", war mit so viel hall aufgenommen, daß es klang, als würde ein alter mann singen – ein nervöser alter mann.
"elvis presley", sagte ich zu mir selbst. wie alt magst du wohl sein. und wer hat dir diesen namen gegeben?
meine mutter kam gerade von der arbeit heim und betrachtete mich von oben bis unten.
"na, du siehst aber hübsch aus. wohin geht es denn?" ich erzählte es ihr und versprach, um 9:30 wieder zuhause zu sein. da war auch schon glendas bruder chester an der tür und brachte mich zum auto. als ich einstieg, plapperte glenda noch immer mit 90 sachen drauf los.
"glaubst du, ich geh als achtzehn durch? bin ich froh, daß du ein kleid anhast. man muß achtzehn sein, damit sie einen in den club reinlassen, und man muß ein kleid anhaben!" chester meinte, wir würden schon reinkommen und bedachte mein kleid mit einem anerkennenden pfiff.
wir waren früh dran im airman's club. alle besucher mußten sich beim eingang eintragen. wir fürchteten schon, daß sie nach unseren ausweisen fragen würden, aber das glück war auf unserer seite, und wir schafften es hinein und ergatterten einen tisch ganz vorne. der club faßte etwa dreihundert personen und füllte sich schnell. die jungen flieger pfiffen uns laut nach, als wir uns zu unserem tisch durchzwängten. glenda war hocherfreut, daß so wenige frauen da waren – nicht mehr als vielleicht fünfunddreißig.
"gut", sagte sie, "da besteht die chance, daß wir nachher mit ihm ein paar worte wechseln können. letzte nacht in der slavonian lounge war alles voll mit kreischenden mädchen; keine chance, an ihn ranzukommen."
"vielleicht bekommst du ja heut nacht deine chance, glenda." sie wand sich auf ihrem stuhl und ich konnte mir bei gott nicht vorstellen, was sie denn so aufregte.
die lichter im saal gingen aus, die musik setzte ein und elvis kam auf die bühne. ich weiß nicht mehr, was er anhatte. ich konnte meinen blick nicht von diesem gesicht abwenden. "that's all right" war der erste song. er tanzte über die ganze bühne. jetzt war mir klar, was meine freundin fast vom stuhl riß. dieser junge mann war dermaßen schön!
die ersten pärchen betraten die tanzfläche und bald gesellten glenda und ich uns zu ihnen. seine liveversion von "blue moon of kentucky" klang so viel besser als die plattenaufnahme. nach acht oder neun songs – sein repertoire war damals nicht viel größer – gab es eine pause. elvis stand beim seiteneingang neben der bühne und unterhielt sich mit ein paar leuten.
glenda hätte alles gegeben, um mit ihm ins gespräch zu kommen, aber ich versuchte, halbwegs cool zu bleiben. er hatte beim singen ein paarmal in meine richtung geschaut, und ich wollte nicht ängstlich wirken. glenda bemerkte, daß genau über elvis' kopf ein pfeil in richtung damentoilette deutete.
"auf geht's, june, gehen wir."
als wir langsam an ihm vorbeigingen, lächelte elvis in unsere richtung. ich faßte glenda am arm und wir gingen weiter.
"june, bitte laß uns am rückweg stehenbleiben und ihn ansprechen."
"wenn du willst, dann tu's, glenda. ich sicher nicht."
elvis, die menge überragend, blickte in unsere richtung, als wir von der toilette zurückkamen. als wir an ihm vorbeikamen, langte er durch die menge hindurch nach meinem arm. ich fing an zu zittern, als er mich mit dieser tiefen, sexy stimme anredete.
"wo willst du hin? du wirst doch nicht schon gehen, oder?" er hielt noch immer meinen arm. ich drehte mich zu ihm und sah ihn an, sein gesicht nur ein paar zentimeter entfernt. irgendwie brachte ich ein nervöses kleines lächeln zustande. zum ersten mal in meinem leben fehlten mir die worte.

[fortsetzung folgt]
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