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Alt 09.04.2006, 12:57
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michael grasberger michael grasberger ist offline
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1
FRÜHES HERZELEID

[...]
meine mutter, eine schönheit, ging nach dem ersten jahr von der high school ab, um meinen vater zu heiraten. sie war süße sechzehn. sie fürchtete schon, kinderlos zu bleiben, da kam nach fünf jahren ehe mein bruder auf die welt. ich wurde zwei jahre später geboren. wir waren die ideale amerikanische familie. nur, daß wir wenig zeit zusammen verbrachten. beim abendessen saßen gewöhnlich nur mein bruder jerry, mama und ich. daddy kam immer spät nach hause, meist betrunken. ein paar biere stimmten ihn fröhlich, aber der whiskey brachte seine zornige seite zum vorschein und dann fing er zu schimpfen an. er traf alle familienentscheidungen und mama traute sich nicht zu widersprechen.
zu weihnachten, für andere familien eine zeit des beisammenseins, wurden jerry und ich zu den großeltern gebracht und meine eltern gingen aus.
[...]
meine mama fing an, sich seltsam zu benehmen. sie verbrachte die meiste zeit in ihrem zimmer. ich hörte sie weinen, aber sie sagte, sie habe nur kopfschmerzen. eines abends lieh sie ein auto, um vater zu folgen, wenn er aus der arbeit kam. ich mußte mit, weil ich zu klein war, um alleine zuhause zu bleiben. zuerst machte vater beim drugstore halt. als er wieder rauskam, trug er eine riesige, herzförmige rote schachtel mit pralinen, so groß, daß sie nicht einmal in eine papiertüte paßte. es war valentinstag. der nächste halt kam beim schnapsladen, den er laut meiner mutter mit einer flasche champagner verließ. wir folgten ihm in einigem abstand. für mich war das wie ein spiel. [...] daddys truck parkte in der letzten reihe. als wir langsam vorbeifuhren, bekamen meine mutter und ich einen schock als wir sahen, wie er eine fremde frau umarmte. ich sehe immer noch ihre roten haare vor mir. [...] meine mutter blieb am straßenrand stehen, öffnete die tür und kotzte aus dem auto. ich stieg aus und ging rüber, um ihr zu helfen, bloß wie? ich tätschelte ihren hintekopf und sagte immer wieder, "es wird alles gut mama, alles wird gut." ich war zehn jahre alt.
daddy kam in dieser nacht nicht nach hause. am nächsten morgen, in aller frühe half ich mama dabei, seine sachen auf der veranda aufzustapeln. wir warfen alles auf einen haufen und weinten dabei. dann gingen wir wieder rein, sie schloß beide türen ab, und wir warteten und spähten durch die jalousien. nach einigen stunden kam daddy schließlich nach hause und parkte an der üblichen stelle. er war frischrasiert, sein haar war noch feucht von der dusche. er kam direkt auf die tür zu, den haufen kleider ignorierend. als er die tür verschlossen fand, klopfte er sanft. "schatz, laß mich rein. die tür ist versperrt. schatz, bitte laß mich rein. was ist denn los?"
schließlich machte meine mutter auf und sah ihn durch das fliegengitter an.
"geh zu deiner valentinstagshure!", sagte sie leise und schlug ihm die schwere holztür vors gesicht. es brauchte einige fahrten, bis er seine habseligkeiten abtransportiert hatte. meine mutter hielt mich fest, als wir ihn wegfahren sahen.
"sieh zu, daß dir so etwas nie passiert, mein baby. versprich mir, daß dir das nie passieren wird."
"ich verspreche es, mama."
nach ein paar tränenvollen wochen hätte ihn mama wahrscheinlich sogar zurückgenommen, aber er machte nicht einmal einen versuch, die ehe zu retten.
[...]
mama nahm einen job an, um jerry und mich zu ernähren, nachdem mein vater aus unserem leben verschwunden war. bald darauf war die scheidung eingereicht, und er heiratete die valentinstagshure. mama bekam das haus. gott sei dank war es abbezahlt, denn von kindergeld war damals noch keine rede, und mein vater zahlte nie auch nur einen cent.
[...]
meine mutter, eine hingebungsvolle gattin, mutter und hausfrau, überwand schließlich den schmerz und ging wieder aus. sie war sechsunddreißig, und zum ersten mal, seit ich denken kann, sah ich sie wieder lachen.